Texte
Herzsprung – Werke von Margret Blessmann
Ausstellung 7. März – 12. April 2015, [P103] Mischkonzern
Redetext von Constanze Musterer zur Eröffnung der Ausstellung
Die Malereien von Margret Blessmann spielen mit der Vielfalt und leben in ihrer
Vielschichtigkeit. Ihre Abstraktionen erscheinen oft wie Explosionen von Farben
oder die eingefangenen Relikte einer solchen. Die malerische Erkundung eines
Davor und Danach und Währenddessen steht hier im Mittelpunkt. Schicht um
Schicht in Acryl, Aquarell oder Buntstift arbeitet sich die Künstlerin in die Tiefen
von Erinnerungen oder aus ihnen heraus. Mit Grafit setzt sie dabei subtil Akzente,
macht Einschreibungen, die wie verschlüsselte Randnotizen fungieren. Ihre Themen
bleiben dabei undefiniert, doch die Kraft und die Nuancen der malerischen mit den
zeichnerischen Elementen verweisen auf einen fortlaufenden Diskurs über das
Festhalten von Zeit und Bewegung. Gestische Überlagerungen, farbliche Prozesse
und zeichnerische Details öffnen dabei eine Raumtiefe, die in ein Universum
spannungsgeladener Korrespondenzen führt.
Rhizomatisch verteilen sich Farben und Flächen nicht nur auf einer Bildebene,
sondern durch die vielen Bildschichten hindurch. So entstehen kleine Knotenpunkte
oder Zentren, nie aber ein Zentrum, die geradezu einen Sog in die Bildtiefe
entwickeln, der nicht immer angenehm anmutet. Tiefe Rot- und Brauntöne
beispielsweise könnten hier von Verletzung oder Aggression erzählen. In ihrer
bewussten De-Fokussierung und durch die geschickte Rückführung auf andere Farbund
Bildebenen gelingt Margret Blessmann jedoch in diesen Momenten immer
wieder eine befreiende wie temperamentvolle Auflösung. Hier wird eine Haltung
spürbar, in der Gegensätze als lebensnotwendig angesehen werden. Vermeintlich
Negatives oder Beängstigendes sind nicht Makel, sondern Merkmal eines Prozesses.
Deutlich wird hier die Reflektiertheit und intellektuelle Auseinandersetzung der
Künstlerin, die die Herstellung eines Gleichgewichts unter der Prämisse einer
respektvollen Leichtigkeit immer wieder herzustellen vermag, ohne zu beharren
oder zu verurteilen.
In einigen der abstrakten Kompositionen scheinen sich Figürlichkeiten gerade
aufgelöst zu haben. Und tatsächlich ist die Figur ein weiteres Hauptthema von
Margret Blessmann. Die malerischen Comics und Kokons, wie sie selbst diese Serien
bezeichnet, offenbaren zum einen die erfrischende Ironie der Künstlerin, verweisen
aber auch auf den Versuch eines Innehaltens in ihrem sich selbst auferlegten Tempo
von Zeit und Bewegung. Die malerischen Schichten kulminieren hier in dem
Körperhaften ohne Körper, das zwischen Auflösung und Präsens changiert. Der
lakonisch formulierte "Herzsprung" erweist sich noch einmal mehr als
undefinierbar in seiner Sprunghaftigkeit.
Berliner Zeitung
MARGRET BLESSMANNS NEUERE BILDER IN DER GALERIE BREMER
Zu Farbe geronnene Zeit
Von Helmut Börsch-Supan
Gäbe es in dieser Stadt nicht die vielen Galerien, man würde kaum etwas über das Berliner
Kunstleben erfahren, das außerhalb des Spektakulären liegt. Wir
Gäbe es in dieser Stadt nicht die vielen Galerien, man würde kaum etwas über das Berliner Kunstleben
erfahren, das außerhalb des Spektakulären liegt. Wir können uns aber keine "Große Berliner
Kunstausstellung" leisten, die eine Übersicht verschaffte. Und in der Flut der Berlin-Bücher gibt es keines,
das über hier lebende Künstlerinnen und Künstler informiert, etwa über Margret Blessmann. Die besonders
von ihrem Lehrer Fred Thieler geprägte, aber von dessen Pathos freie Malerin zeigt in der Galerie Bremer
Leinwandbilder und Aquarelle meist der letzten drei Jahre. Gegenüber den früheren Werken haben die
neuen an Leichtigkeit gewonnen. Balancierend zwischen Zeichnung und Gemälde sind sie deutlicher als
geronnene Zeit wahrzunehmen, in der ein Spiel mit Flecken und Linien abläuft - einer Art Musik - der
zeitgenössischen durchaus nicht unähnlich. Damit werden Bilder wie zum Tagebuch mit darin
aufgezeichneten schwankenden Stimmungen, darunter bisweilen kleine Zornesausbrüche. Den Reiz dieser
Malerei erfährt der Betrachter, wenn er den Malvorgang mit den Augen nachvollzieht. Dieser erstreckt sich
nicht nur in der Fläche, wo es auf Ausgewogenheit ankommt, sondern mehr noch im
Übereinanderschichten von Flecken und Strichen. Hier wird der Forscherinstinkt geweckt und durch kleine
Sensationen belohnt. Am Anfang stehen immer das makellose, Ehrfurcht gebietende weiße Zeichenpapier
oder die weiß grundierte Leinwand. Dann beginnt das Spiel mit dem Stift, der schraffiert, konturiert, eine
Melodie schafft - mit dem Pinsel, seinem Stiel, den Farben und Verdünnungsmitteln. Das alles ist teils vom
Gestaltungswillen gesteuert, teils ist es ein Geschenk des Zufalls, stets aber ein Abenteuer, bei dem das
Misslingen riskiert wird: Farbe verlauft dünn in Flecken, manchmal changierend, und bildet beim Trocknen
scharfzackige Ränder oder sie wird pastos mit einem Hieb gesetzt. Flächen werden mit Deckweiß
überstrichen, um daraus farbige Linien herauszukratzen. Farbe kann auch gespritzt werden. Über ihre
Harmonie hinaus teilen die Farben bewusst oder unbewusst Bedeutung mit. Bei dem hellen Rot ist es
schwer, die Assoziation von Blut abzuwehren. Schwarz droht oder weckt Trauer. Grün und Gelb, überhaupt
Erdnahes, kommen nur selten und dann in verblassenden Tönen vor. Diese Malerei entzieht sich der
Diktatur der Ton-Angeber. Sie schwimmt auch nicht gegen den Strom, sondern fliegt eher wie ein
Schmetterling davon, mit der Zeichnung ihrer Flügel den erfreuend, der hinschauen will.
Galerie Bremer,
Fasanenstr. 37, bis 28. 4., Di-Fr 14-18, Bar tgl. offen ab 20 Uhr.
Kokon und Sphärentanz
Dr. Viola Altrichter
Radioautorin / Gastdozentin
Margret Blessmann, Berliner Malerin, seit 1990 über Einzelausstellungen in verschiedenen in-
und ausländischen Galerien bekannt, taucht den Besucher in rot-.rosa pulsierende Luftwelten.
Transparentes und mehrschichtiges Gewebe sezierter, körperhafter Zeichen umkreisen
zentrumslos einen Kosmos ohne Mitte, Schicht auf Schicht entsteht ein bewegtes Gespinst.
Begonnen werden die Arbeiten mit durchsichtigem Aquarell, überdeckt von undurchsichtigem
Acryl, manchmal Öl oder unkenntlich gemachten Zeitungsannoncen, Nachrichten aus verhallten
Zeiten und lose verbunden durch Graffitispuren – um in einem ständigen Prozeß wieder
aufgerauht, verdünnt, überlagert, zerkratzt und aufgeschabt zu werden.
Am Ende entstehen geballte zeichenhafte Hauchspuren in einem Chaos, welches von geheimer
Ordnung zeugt.
Blessmann setzt auf die Spur, die sich selbst sucht und findet, die entschichtete Schicht im Detail.
Das Material, die Struktur der Leinwand, der Verdünnungsgrad der Farbe führen sie durch das
Bild, wie sie sagt, bis es sich selbst gemalt hat. Kein Konzept, keine vorgefaßte Idee, kein Inhalt,
der am Anfang stünde – eher die Überraschung, die sich in jeder neuen Chiffre verbergend>
offenbart, und das immer im ständigen Kampf gegen das vertraut anmutende in jedem
Harmonieangebot.
Formen – zerstören – bilden – verbilden – schichten – überlagern - immer einer Spur auf der Spur
sein, wie der Faden, aus dem ein Kokon besteht: eine alle Werke durchziehende Hauptmetapher
Blessmanns. Der Kokon, der versteckt, was er enthält, der in sich selbst verschlossen, das ganze
Potential seiner folgenden Mutationen enthält, der äußerlich starr – eine Ellipse, dem Ur-Ei
gleich, von Lebensfaden, auch Blutsfaden umwickelt – er verbirgt in sich den Sprengsatz für alle
weiteren Kristallisationen des Lebens. Eben jene feinstofflichen, zarten, durchsichtigen, rosa-
roten Lebenshauchzentren, über schemenhaft angedeuteten Blatt-Nerven-Blut-Bahn-Systemen,
zwischen welchen der Kokon immer wirder nach der Melodie seiner eigenen Vernetzung tanzt.
Die neuen Werke Blessmanns zeichnen sich durch eine überraschende Verknappung alles bisher
Beschriebenen aus.
Nicht mehr rosa ist die Welt, sondern weiß ihr Hintergrund.
Raum lassend für die Formel, das Ding, das Zeichen.
Pastellgetönt steht jetzt jedes mehr für sich, hält sich in fragiler Polarität.
Waren die früheren, großen Bilder – verdichteter Atmosphäre gleich – in der alles miteinander
verbunden, jede Bewegung die nächste bestimmte – so ist es jetzt der helle Unterraum, der die
Hohlform für die Zeichen setzt.
Fragile Vereinzelungen, bunt und schwebend, kriechen aus dem Kokon und tanzen einen neuen
Tanz:
hier und da ein Slapstick, witzig, leicht und charmant – und gleichzeitig ernster als zuvor. Scheint
doch in sie eingedrungen, was uns alle fürchten läßt: der Raum ist leer, in dem wir tanzen.
margret blessmanns bilder
Fritz Mikesch
schwerelos und nicht mit worten zu befrachten
wie ein augenblick, der nicht vergessen wird,
obwohl ihn niemand zu beschreiben wüsste –
stille flieht nach allen seiten
und erträgt nicht das gewicht
ergänzender gedanken,
die vergeblich um begriff und deutung kreisen,
wo ein farbenhauch auf weiss von ruhe in bewegung kündet
namenlos zur form geronnen
sagt ein flüchtiger moment
die unvergänglich kurze zeit.
der lange blick erlauscht das bleibende gefühl